Nachhaltigkeit,  Wasser

Betrachtungen zum Wasserverbrauch

Sie läuft langsam durch die Straßen und Wege der mittelgroßen Stadt. Sie läuft, weil sie versucht das Adrenalin und die Anspannung abzubauen. Sie weiß etwas, was die Menschen um sie herum nicht wissen: Das Wasser ist knapp. Und mit einem Mal passiert etwas Seltsames: Sie ist in Gedanken versunken, aber auf einer eher unterbewussten Ebene nimmt sie jeden Wasserverbrauch wahr. Der Mann, der in seiner Hofeinfahrt steht und einen Schlauch in der Hand hält, aus dem fein zerstäubtes Wasser in einem fächerförmigen Verlauf zu Boden fällt. Das Kanalreinigungsfahrzeug, das gerade losfährt und eine Spur aus Wasser auf der Straße zurückgelassen hat. Der Mann, der mit einem Behälter voller Unkrautvernichtungsmittel auf dem Rücken an der historischen Mauer entlangläuft und dem Löwenzahn zu Leibe rückt. Sie fragt sich, ob er den Unkrautvernichter mit Wasser verdünnt und wie viel er dafür wohl entnommen hat. Sie wünscht sich, dass diese Menschen in ihrer Arbeit innehalten, um den Wasserverbrauch zu beenden.
Normalerweise hätte Sie diesen Vorgängen keine Beachtung geschenkt. Ihre Aufmerksamkeit wäre auf anderen Dingen gelegen, aber heute sah sie die Nutzung von Wasser in seinen vollen Umfang – wohl wissend das jeder Tropfen, der verbraucht wurde, näher zu dem Punkt führen würde, an dem es kein Wasser mehr gab.

Unter Ihren Füßen war das Netz aus Wasser; die Adern der Stadt, die das Leben, wie es bekannt ist, erhalten. Verästelt und im besten Fall stabil. Doch das Wasser und die Zeit sind stark. Kleine Risse und Löcher geben dem Wasser den Weg frei, um sich außerhalb der gewünschten Bahnen zu bewegen. Wasser ist widersinnig. Und nur schwer zu kontrollieren. Das geballte Wissen und die Technologie aus Jahrhunderten stellt sich dem Wasser entgegen und dennoch kann es nur in Teilen bezwungen werden.
Irgendwie ist das auch gut so. Einen Tiger sperrt man nicht in einen kleinen Käfig, ohne dass ihm seine Wildheit, die ihm eigen ist und ihn so faszinierend macht, genommen wird. Wasser wie in Gebirgsbächen, das wild und ungebändigt fließen kann, hat noch eine Art ungezähmte Schönheit, die die Menschen so in Bann zieht.

Sie läuft weiter und denkt darüber nach, wie eine Krisensituation den eigenen Blickwinkel verändern kann. An diesem nervenaufreibenden Tag hat sich eine neue Gewissheit eingestellt: Trinkwasser ist begrenzt. Auch wenn man in Gegenden lebt, die wasserreich sind, muss die Gewinnung, Aufbereitung und Förderung von Wasser erst an einen erhöhten Verbrauch angepasst werden. Besonders die trockenen Sommermonate zwängen jeden Tropfen aus dem Netz heraus, das über die Jahrzehnte gewachsen ist und sich beständig in Veränderung befindet. An warmen Tagen kommt dieses kleine Wunderwerk der Technik, das unter der Erdoberfläche liegt und an dem Generationen von Menschen gearbeitet haben, an seine Grenzen.
An solchen Tagen braucht man nicht in seiner Hofeinfahrt zu stehen und mit einem Schlauch, aus dem fein zerstäubtes Wasser zu Boden fällt, seinen Hof und sein Auto zu waschen. Auch das saftige Grün des Grases ist zwar kleidsam für den eigenen Garten, aber es geht zu Lasten anderer, wenn nicht mehr genügend Wasser für alle verfügbar ist.

Die Großeltern, Urgroßeltern und Ururgroßeltern der Familien wussten wie sie mit zeitweilig begrenzten Ressourcen umgehen konnten: Sie legten Vorräte an. Nahrungsmittel wurden haltbar gemacht und in möglichst großen Mengen in den Kellern der Wohnhäuser eingelagert. Mit Wasser verhält es sich ähnlich. Ein Vorrat überbrückt Zeiten, in denen durch Störungen im Betrieb eine Reserve notwendig wird oder wenn bei unerwarteten Ereignissen zeitweise sehr viel mehr Wasser verbraucht wird als gewöhnlich. Doch gleichzeitig darf der Vorrat nicht zu groß sein, weil das Wasser, wenn es lange nicht verwendet wird seine Qualität einbüßt. Nicht zu viel und nicht zu wenig speichern – eine schmale Grenze, die wohl überlegt gezogen werden muss.
All das Zerren an Wasser wird ihr bei ihrer Spaziergangsrunde deutlicher bewusst als je zuvor. So viele unterschiedliche Nutzungsansprüche für dieselbe Ressource. Wenn das Wasser knapp wird, wem gibt man Vorrang? Der Bevölkerung? Der Industrie, die Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung schafft? Der Landwirtschaft, die jeden Tag die unentbehrliche Nahrung produziert? Oder derjenige, der zuerst kommt und am meisten zahlt? Es ist eine Frage des Blickwinkels und der Ethik, die man einnimmt. Im besten Fall kommt nie der Tag, an dem man eine Nutzung einer anderen vorziehen muss. In Zeiten von Wetterextremen muss aber genau damit gerechnet – und geplant werden.
Langsam ist Ihre Runde zu Ende. Sie ist ein klein wenig ruhiger geworden. Sie hofft, dass demnächst die ersehnte Nachricht eintrifft, dass das Wasser wieder fließt. Bis dahin heißt es warten.